Stephan Balkenhol | Dan Graham
„Es ist etwas Urmenschliches, die Realität und die eigene Existenz über Abbilder – seien es Zeichnungen, Malerei, Skulpturen, Fotos etc. – zu ergründen und sich ihrer zu vergewissern. Warum sollte dies jetzt nicht mehr möglich sein? Das war und ist die Vision, die mich in meinem Schaffensprozess getragen hat und bis heute beflügelt. Dabei habe ich es vermieden die Skulptur zum Überbringer von soziologischen oder religiösen Botschaften werden zu lassen, wie es in früheren Jahrhunderten üblich war. Meine Skulpturen konfrontieren den Betrachter mit Offenheit und Ambivalenz und stellen insofern mehr eine Frage als eine Antwort dar. Erst durch den Blick des Betrachters wird die Skulptur mit Inhalt gefüllt.“
– Stephan Balkenhol (Ateliergespräch, PArt Foundation / Spiegelberger Stiftung, 2024)
„Es wäre ein außerordentlicher Fehler zu denken, dass meine Arbeit von Entfremdung handelt oder dass sie gar Entfremdung produziert. Sie handelt grundsätzlich von Spielen, die Kinder zwischen zwei und drei Jahren spielen.“
– Dan Graham (in: "Bild - Erzählung - Öffentlichkeit. Die Galerie Rüdiger Schöttle", hrsg. von Heinz Schütz, Passagen Verlag Wien 2001)
Erstmalig stehen sich die Werke von Dan Graham (1942 in Urbana, Illinois, – 2022 in New York City, USA) und Stephan Balkenhol (*1957 in Fritzlar, DE) gegenüber. Seit den 1980er Jahren sind beide Künstler eng mit der Ausstellungshistorie der Galerie Rüdiger Schöttle verbunden, ihre Arbeiten wurden aber noch nie im direkten Wechselspiel gezeigt. In den skulpturalen Werken lenken Dan Graham und Stephan Balkenhol den Blick der Betrachtenden ganz bewusst und konfrontieren ihn auf Anhieb mit sich selbst: Dan Graham in Form seiner verspiegelten Pavillons unter Einbezug der Umgebung, Stephan Balkenhol in Form seiner ikonischen Figuren, die vergeblich nach Blickkontakt suchen lassen und somit unmittelbar die eigene Introspektion anregen.
Über Jeff Wall ergab sich die Brücke für die Ausstellung dieser beiden Positionen. Er hat zusammen mit Dan Graham einen Pavillon für Kinder im Jahr 1989 realisiert, beide teilen den Ansatz der Konzeptkunst. Gleichzeitig manifestierte Jeff Wall in demselben Jahr seine Begeisterung für die damals noch gegensätzliche figurative Strömung und beschrieb die Figuren von Balkenhol so: „Seine Monade ist eine Art von Gegenexperiment, dazu bestimmt, die Sprache der experimentellen Skulptur zu hinterfragen und deren sonderbares Schweigen von der Warte des menschlichen Körpers zu betrachten. Es ist ein Körper, der aus den harten Kämpfen gegen erdrückend terrorisierende Statuen, jene von der Art des Kolossos, hervorgegangen ist.“ (aus Jeff Wall, „An Outline of a Context for Stephan Balkenhol’s Work 1988“, erschienen im Ausstellungskatalog Stephan Balkenhol, Basel 1988).
So unterschiedlich Stephan Balkenhol und Dan Graham auch in ihrer formalen Arbeitsweise sein mögen, ergeben sich doch inhaltliche Parallelen in ihrem Oeuvre. Ihre Werke sind weltweit im öffentlichen Raum zu finden, weil sie im Kern Begegnungen im gesellschaftlichen Kontext schaffen. Die beiden Künstler verbindet eine tiefe Auseinandersetzung mit der europäischen Kunstgeschichte, was vor allem durch den Rückgriff auf das Motiv der Spiegelung erkennbar wird. Dan Grahams Lebenswerk wird oft als „Spiegel der Gesellschaft“ bezeichnet, da seine Arbeiten – insbesondere seine berühmten Glas- und Spiegelpavillons – die Betrachtenden dazu anregen, sich selbst und ihre Umgebung in einem dialektischen Prozess des Sehens und Gesehenwerdens zu reflektieren. Diese Pavillons nutzen Zwei-Wege-Spiegelglas, das je nach Lichteinfall sowohl transparent als auch reflektierend sein kann, und ermöglichen so eine Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner sozialen, städtischen oder natürlichen Landschaft. In der Ausstellung werden Modelle aus Zwei-Wege-Spiegelglas zusammen mit frühen Fotografien aus New York und Europa gezeigt.
Dem gegenüber stehen die menschlichen Figuren von Stephan Balkenhol, die er selbst als hölzerne Spiegel bezeichnet. Sie vermitteln eine spürbare Einheit von physischer und geistiger Präsenz und bieten eine Projektionsfläche, die gleichzeitig auch Reflexionsmoment ist.
